Ich bin in Conakry geboren und aufgewachsen. Das ist die Hauptstadt des westafrikanischen Guinea. Ich habe es geliebt als Kind die Sommerferien von fast drei Monaten bei meinen Großeltern zu verbringen. Der Ort ist über 400 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Mein Großvater hatte insgesamt 23 Kinder und die meisten hatten auch selbst sehr viele Kinder. Bei meinen Großeltern kamen dann alle Enkelkinder zusammen. Diese gemeinsamen Essenszeiten mit dem Großvater, wo wir uns in seinem großen Wohnzimmer mit riesigem Teppich versammelt haben, um ihn herum auf den Boden und dann gemeinsam mittags gegessen haben… Mein Großvater war Großhändler, aber er ist immer zur Mittagszeit nach Hause gekommen. Er ist erstmal zur Moschee gegangen, hat sein Mittagsgebet verrichtet und ist dann nach Hause gekommen. Dann haben wir uns alle zum Essen zusammengesetzt und er ist wieder zur Arbeit gegangen. Am Spätnachmittag hat er uns viele schöne Geschichten erzählt und wir haben schöne Sachen miteinander unternommen. Abends haben wir auch gemeinsam gegessen.
Das Abitur aus Guinea wird in Frankreich anerkannt, hier in Deutschland leider nicht. Das heißt, ich musste nach meinem Abi, ich war gerade 20 geworden, erst die Sprache lernen. Dann war ich anderthalb Jahre in Leipzig, anderthalb Jahre in Halle an der Saale, wo ich das Fachabi gemacht habe, um überhaupt Zugang zur Uni zu haben.
So bin ich nach eineinhalb Jahren Fachabitur an die Leibniz Universität in Hannover zum Studieren gegangen, denn in Halle habe ich mich leider nicht wohlgefühlt, weil ich dort ganz viele Rassismuserfahrungen machen musste. Deshalb kam es für mich nicht in Frage an der Martin Luther Uni in Halle zu studieren. Das sind Dinge, die mich geprägt und bewegt haben.
Als ich nach Hannover kam, habe immer gedacht, ich lerne damit umzugehen, ich komme damit klar. Irgendwann wurde ich Mutter, habe festgestellt, dass es mit meinem eigenen Kind weitergeht. Das hat dazu geführt, dass ich gesagt habe: “Nein, jetzt ist Schluss. Ich will nicht mehr meckern, sondern ich will mich politisch engagieren, um meinen Beitrag zu leisten, dass sich Dinge verändern und Menschen in dieser Gesellschaft gleichberechtigt werden.” Ich wollte nicht mehr akzeptieren, dass das, was ich sieben Jahre lang habe erleben müssen, System hat. Dass es ein strukturelles Problem ist, das wir in der Gesellschaft haben und dass das mit Institutionen zu tun hat. Dass das zu ändern ist und dass mein Kind nichts dafür kann, dass ich als Mutter eine andere Herkunft habe. Ich werde nicht akzeptieren, dass mit Kindern wie ihm – und das sind sehr viele weitere Kinder – so umgegangen wird.
Meine Perspektiven als Frau, als Mutter, als Schwarze Frau werden im Parlament genauso gebraucht wie die der anderen. Das Versprechen unserer Demokratie der Vielfalt, Vielfalt im Sinne aller Menschen zu berücksichtigen, geht aus meiner Sicht nur auf, wenn man auch Menschen für sich sprechen lässt, die betroffen sind. Man muss Menschen unterschiedlicher Perspektiven mit einbinden. Das stärkt unsere Demokratie bzw. erfüllt das Versprechen unserer Demokratie.
Also bis vor kurzem hatten wir ja kein Einwanderungsgesetz. Das muss man auch in der Klarheit sagen. Man kann über ein Studentenvisum oder über die Familienzusammenführung kommen – in welcher Konstellation auch immer – oder du beantragst Asyl. Das erste Einwanderungsgesetz hatten wir ja unter der Großen Koalition kurz vor Ende der Legislaturperiode von Angela Merkel. Das war auch kein revolutionäres Gesetz in dem Sinne. Das wurde jetzt durch die Ampel-Koalition verbessert und ist kurz vor den Sommerferien beschlossen worden. Dieses Einwanderungsgesetz ermöglicht, dass dieses Land als Einwanderungsland aktiv sein kann und dass Menschen jenseits von Asyl, Familienzusammenführung oder Studentenvisum nach Deutschland kommen können.
Es ist leider so, dass wir Strukturen aufgebaut und geschaffen haben, die dazu führen, dass sich viele Menschen aufgrund der Perspektivlosigkeit auf den Weg zu uns machen. Diese neokolonialen Strukturen haben wir immer noch.
Ich gebe zwei Beispiele: 1. An der Küste Westafrikas gibt es viele Jugendliche, die damals als ganz traditionelle Fischer gearbeitet haben und davon gut leben konnten. Heute ist es schwer für sie, weil viele Schiffe aus Europa unter anderem dorthin gehen und mit ihren modernen Geräten viel mehr Fische fischen. Der kleine Fischer vor Ort hat kaum noch Chancen von diesem Geschäft leben zu können. Das ist die Realität. Solche Ungerechtigkeiten finden statt.
2. Die meisten Subventionen, die von der EU-Ebene in die EU-Staaten hineingehen haben wir im Agrarbereich. Das heißt Landwirt*innen in Niedersachsen oder woanders… Wir sind übrigens Agrarland Nummer eins in Deutschland. Das ist auch richtig, es ist ein Wirtschaftsfaktor. Aber wir müssen darauf achten, dass wenn wir hier Milchpulver nach Afrika verkaufen, das dazu führt, dass der kleine Bauer keine Chance hat und sich dann neue Perspektiven sucht.
Das heißt, wir subventionieren Dinge, die die Umwelt zerstören und den Menschen die Existenzen wegnimmt. Und deshalb ärgert es mich oft sehr, wenn gesagt wird: „Die sollen bei sich zu Hause bleiben! Wir wollen die hier nicht haben“. Dann müssen wir darüber reden, was wir tun müssen, damit sie auch bei sich vor Ort bleiben und Perspektiven haben. Dann müssen wir Strukturen angehen. Dann müssen wir ehrlich sein und uns fragen, was die Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung sind. Migration hat es immer gegeben, das wird es weiterhin geben.
Hätte ich gewusst, was an Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen auf mich zukommen würde, hätte ich nicht gesagt, dass ich nicht kommen würde, aber ich hätte es mir überlegt. Ganz ehrlich, ich hätte es mir überlegt. Ich bin froh und dankbar hier zu sein. Ich habe viel gekämpft. Mein Leben in Deutschland ist bisher leider mit vielen Kämpfen und Herausforderungen verbunden gewesen.
Dann denke ich wieder daran, dass ich durch mein Beispiel ein Vorbild für andere Schwarze Frauen sein kann, die vielleicht bisher nicht die Möglichkeit hatten in die Politik zu gehen. Ich möchte sie dazu ermutigen für sich selbst sprechen zu können. Das Versprechen der Demokratie wird eingelöst, wenn alle Perspektiven, so auch junge BIPoC Teilhabemöglichkeiten in der Politik erhalten können.
Fotos: China Hopson
© Afrotopia NDS. All rights reserved