Ich bin auf dem Land in Norddeutschland groß geworden, aber ich bin in Äthiopien geboren. Also dadurch habe ich schon zwei, drei verschiedene Identitäten in mir, also auch die ostafrikanische Oromo-Identität, dann die norddeutsche ländliche Identität. Die ist nun mal was ganz anderes, als wenn man hier in Hamburg Altona aufgewachsen ist. Die Menschen ticken auf dem Land ganz anders. Und ich habe früher ein Problem gehabt, das alles zusammenzubringen und ich war überfordert mit diesen unterschiedlichen Welten, die erst einmal gar nicht zusammenpassen. Im Laufe meines Lebens habe ich gemerkt, eigentlich ist das etwas total Cooles, so viele Einblicke und Erfahrungen zu haben und habe dann nicht mehr das Gefühl gehabt, dass ich zwischen den Stühlen sitze, sondern dass ich mehrere Stühle habe, auf die ich mich setzen kann. Das fand ich total cool, aber es ist nicht immer alles toll und romantisch und easy, sondern bringt auch Konflikte mit sich, weil wir Menschen das Bedürfnis haben und ich das Bedürfnis habe und hatte, dazuzugehören, und teilzuhaben. Nicht immer hatte ich in all den Kontexten, in denen ich unterwegs war das Gefühl, ich gehöre jetzt einhundertprozentig dazu. Bis ich dann gesagt habe, doch ich gehöre dazu, ich habe das Recht hier auch teilzuhaben. Einiges muss man sich nehmen, einiges ist wichtig, dass es einem gegeben wird.
Ich glaube, dass wir im Rückblick auch gerne Dinge verklären, aber wenn ich daran denke, fällt mir folgendes ein: Wir sind im Sommer gekommen. Wir sind 1979 aus Äthiopien geflohen, im Februar nach Kenia und nach vier Monaten in Kenia dann hierhergekommen. Das heißt in einem Jahr waren wir in drei Ländern. Ich hatte den Bürgerkrieg selbst körperlich miterlebt Nach der Flucht hierher zu kommen, das war eine heile Welt. Du kommst im Sommer auf dem Land in Norddeutschland an, es ist alles grün. Du gehst ins Freibad, isst Pommes, kannst Schokolade kaufen, so wie du willst.
Du kommst hierhin und es ist alles geregelt, ordentlich und tolle Autos und tolles Essen und alles im Überfluss. Es ist Frieden und du hast die große Freiheit und musst keine Angst vor der Polizei und Schießereien und dem ganzen Kram haben. Das war schon beeindruckend. Auf der anderen Seite waren mein Bruder und ich die einzigen Schwarzen Kinder weit und breit, fallen überall auf. Alle Leute drehen sich um. Wir haben uns auch umgedreht, wenn wir irgendwelche Schwarzen Menschen gesehen haben, weil wir uns gefreut haben. Dann haben wir gewunken und gedacht „Oh, endlich mal jemand, der so aussieht wie wir!“ Aber wir wurden auch gehänselt und diskriminiert wegen unserer Hautfarbe. Es gab auch die eine oder andere Schlägerei. Es gibt ja auch subtilen Rassismus, wo Leute dir einfach in die Haare fassen.
Ich bin dankbar, dass wir diesem Bürgerkrieg entfliehen konnten und dass ich die Chance hatte, hier mit meiner Familie ein Leben aufzubauen und uns hier zu entwickeln und dass wir hier noch einmal neu starten konnten und trotzdem haben wir unsere Heimat verlassen. Das ist ja auch etwas, was sehr schmerzlich ist.
Also es war 1994, als ich mit 25 Jahren nach 15 Jahren wieder zurück nach Äthiopien kam. Wir sind hierhergekommen, geflohen, und ich war 15 Jahre nicht dort. Als ich wieder zurück war, war ich bei meiner Großmutter auf dem Land, wo mein Vater geboren wurde. Da habe ich gemerkt, hier gehörst du hin. Ich habe irgendwie diese Verbindung zu meiner Heimat gespürt. (…) Ich habe meine Oma gesehen, ich habe Oromiya gesehen, ich habe dieses Land gesehen, ich habe es gespürt. Das Wasser, das ist so weich auf der Haut ist. Die Luft ist so rein. Das Essen ist so lecker. Die Menschen sprechen meine Sprache. Also, das sind so Sachen, mit denen ich sofort connected habe und wo ich gemerkt habe, geil, da gehörst du hin und das sind deine Roots. Als ich wieder nach Hause kam, habe ich gedacht: Ach cool, also gehörst du dahin und du gehörst auch in den Norden. Dann konnte ich auch meine norddeutsche Heimat annehmen. Hier gehörst du auch hin, es hat so Klick gemacht.
Bevor ich meinem Vater erzählt habe, dass ich zur Schauspielschule gehe, hatte ich Angst, dass es zu einem riesigen Krach kommt. Ich habe ihn zum Pizzaessen eingeladen und hab gesagt “Ich muss dir was erzählen” und dachte gleichzeitig, wie erzähle ich das jetzt. Ich habe ihm gesagt „Ich will jetzt meinen Job beenden und zur Schauspielschule gehen“. Es war Totenstille und ich dachte: „Scheiße!“, aber er sagte nur: „Das find ich gut. Wenn du dir sicher bist, dann mach das. Ich stehe hinter dir.“ Damit habe ich nicht gerechnet, überhaupt nicht. (…) Und dadurch, dass meine beiden Eltern hinter mir standen, gaben sie mir sehr viel Kraft und sehr viel Energie auch die schweren Zeiten durchzustehen.
Weil das so plakativ ist, glaube ich. Weil es einfach ein starkes Bild ist für viele „ein Schwarzer, der spricht Plattdeutsch“, aber wenn man hinguckt, ist es gar nicht so ungewöhnlich. Es geht ja nicht um die Wurzeln, denn ich bin auch Norddeutscher. Meine beiden Söhne sind hier geboren, mein Vater ist in Hamburg beerdigt. Also Geburt und Tod sind wichtige Bestandteile unseres Lebens in Norddeutschland. Ich bin Oromo, aber ich bin auch Deutscher und eigentlich ist das, etwas total klares und normales. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Für mich ist Sprache eine Form von Heimat und wenn man das weiterdenkt, dann ist es eigentlich folgerichtig, dass ich total gerne Plattdeutsch spreche. Es ist eine Sprache, die bewahrt werden muss, damit sie weiterlebt. Das hat etwas mit der Identität der Menschen in Norddeutschland zu tun. Ich weiß, was es bedeutet eine Sprache zu schützen. Meine erste Sprache Oromo war in Äthiopien lange verboten und man wurde deswegen auch diskriminiert und hatte negative Folgen wie Inhaftierungen und Mord zu bestimmten Zeiten… deswegen weiß ich, wie wichtig Sprache ist. Dass ich zu meiner Oromo Sprache stehe ist für mich maximale Identität und Plattdeutsch ist auch eine Identität in mir.
Ich habe eher einen Wunsch. Ein großer Wunsch von mir ist, dass ich mal wieder zurück in meine Heimat Oromiya kann. Und dass die Oromos selbstbestimmt und in Freiheit leben können. Dass sie ihre Vertreterinnen und Vertreter selbst wählen können. Dass die Menschenrechte geachtet werden. Dass meine Kinder meine ursprüngliche Heimat kennenlernen und erleben können. Das ist ein großer Wunsch. Wenn ich einen Beitrag dazu leisten kann, dann mache ich das gerne.
Fotos: China Hopson
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